schöpfungsliebend.
lyrik, politik und religion.

Paradising

Und Gott nahm ein Stück Lehm und formte daraus den Menschen. Und er setzte ihn in den Garten Eden. Er pflanzt ihn ein, wie einen Samen oder einen Baum. Die Füße des Menschen berühren den Erdboden. Wie ein Baum an Wasserbäche ist der Mensch gepflanzt in einen Garten mit Kräutern, Blüten und Obstbäumen.
Gott formt den Menschen, er gestaltet ihn. Gott haucht dem Menschen Lebensatem ein. Und dann gibt er ihn frei. Wenn etwas wächst und lebendig wird, dann braucht es Raum um sich zu Entwickeln und zu Entfalten. Das Paradies ist für mich ein solcher Ort. Ein Freiheitsort, der die Möglichkeiten bietet, um zu wachsen und zu werden. Das Paradies, ein Lebensraum mit allem, was es zum Leben braucht – Wasser, Nahrung, Obst, Heilkräutern, mit Geborgenheit, Wärme, Schönheit und Verbundenheit. Raum zum Atmen, Raum zum Gestalten, Raum zum Wachsen, Raum zum Genießen. Und ein Lebensraum, in dem ich nicht allein bin. Da sind noch die Bäume und Kräuter, die Tiere und mindestens ein anderer Mensch.
Ein wunderbares Bild vom Paradies wird gleich zu Beginn unserer Bibel gemalt. Was wir uns unter dem Begriff Paradies vorstellen, das wird sehr stark durch Bilder beeinflusst, die gemalt werden. In unserer Zeit sind das oft Bilder aus der Werbung. Urlaubsparadiese, Swimmingpools, alles was man sich wünscht „all inclusive“, da geht es v.a. um viel Geld und Wohlstand. Die Bibel malt andere Bilder, und wie ich finde, stärkere Bilder.
Da ist das Bild bei Jesaja: Der Wolf und das Lamm werden nebeneinander liegen. Es wird keinen Kampf geben. Keine Konkurrenz. Keinen Sieg. Was lebendig ist, das darf lebendig sein. Lebewesen erkennen einander und leben nicht gegeneinander. Vielleicht in friedlicher Nachbarschaft, vielleicht sogar in Freundschaft.
Das biblische Paradies erzählt von einem Garten. Der Mensch kommt erst später. Zuerst ist da das Bild von Gott als dem Gärtner und von dem großen Garten. Wasser, Bäume und Tiere. Vögel in den Ästen, die ihre Lieder singen. Bunte und kräftige Farben.
Dieser Paradiesgarten ist ein Raum, der geschützt ist und doch genug Freiheit zum Wachsen lässt. Da ist Platz für Tiere und für Menschen. Und da darf auch gestaltet werden. So wie Gott den Menschen formt, darf auch der Mensch schöpferisch tätig sein. Es gibt so eine Kraft in uns, die schöpferisch und kreativ ist. Wir dürfen sie nutzen.
Ich glaube sogar, wir brauchen sie. Wir brauchen genau diese schöpferische Kraft, um unsere Erde auf eine gute Weise zu gestalten. Kreative Menschen, Künstler*innen kennen diese kreative Kraft sehr gut. Sie liegt in uns und will entfaltet werden. Sie will aus der inneren Vorstellung nach draußen, in der Welt verwirklicht und gestaltet werden. Und ich glaube, dass diese schöpferische Kraft sehr viel bewirken kann. Wir brauchen sie, um unsere Erde wieder als ein Paradies zu verstehen, in dem verschiedene Geschöpfe nebeneinander wachsen können.
Vor kurzem hat eine Theologin ein neues Wort dafür erfunden: Paradising. Das bedeutet, sich darauf auszurichten, das Paradies wieder aufzubauen. Auf die Verwirklichung des Paradieses hin zu arbeiten. Das kann natürlich niemand allein, und schon gar nicht ohne Gottes Hilfe. Aber ich glaube, jede und jeder von uns kann etwas dazu beitragen, die Erde zu paradisieren. Wie wir das machen, das kann ganz verschieden aussehen.
Ich denke an ein Ehepaar, was im Norden Hessens eine ehemalige Müllhalde in einen großen mit Wald und Wiese bewachsenen Berg verwandelt hat. Der Himmelsfels, heute ein Jugendbegegnungsort, einige von euch waren vielleicht schon da.
Oder ich denke an einen Ingenieur, der eine Idee für ein Heizsystem hat, was ohne Öl und Gas Wohnungen wärmen kann. Paradisieren meint: Nicht nur bei der Idee bleiben, sondern sie auch umsetzen. Das ist Arbeit und erfordert mitunter Experimente, Messreihen, Verbesserungen der Technik und natürlich gutes Teamwork. Hinsehen: Was machen eigentlich die Anderen, wo kann ich meinen Beitrag anknüpfen, wie können wir gemeinsam und miteinander arbeiten statt in Konkurrenz. Und was sagt Gottes Stimme? Wie kann ich mein Leben und Handeln aus das Gute ausrichten, was Gott sich für diese Welt wünscht?
Vieles von dem, was in uns liegt, sehnt sich danach, sich entfalten zu dürfen. In die Welt zu kommen und Gestalt zu gewinnen. Ich glaube, es kann für uns selbst und für diese Welt heilsam sein, wenn wir diese Energie nutzen.

Klima-Psalm-Klage  - von Marike Völkerding
Die Psalmbeterin sinkt auf die Knie. Sie stammelt. „Gott, warum bist du so weit weg?“ (Psalm 10,1a)
Ihre Stimme ist brüchig, sie sitzt auf dem harten Steinboden, ihr Oberkörper nach vorne gebeugt.
„Gott, warum bist du nicht zu sehen, wenn ich dich brauche? -Wenn WIR dich brauchen? Die Arroganz der einen, lässt die anderen verelenden.
Intrigen, Gewalt, Prahlerei, Gier- Die Habgierigen lästern Gott, 
die Gewalttätigen sagen: Gottes Wutschnauben ist weit weg. Gott gibt es eh nicht. Gott interessierts eh nicht, so denken die. Und der Erfolg gibt ihnen Recht, sie spüren ja keine Konsequenzen! Sie denken bei sich: Mich wird’s ja nicht treffen! Sie lügen sich und uns an!“ (Nach Psalm 10,1b-6)

Sie schreit und spuckt die Worte hinaus- ihre Wut ist entbrannt, sie schlägt mit den Händen auf den Steinboden. Ihr Gesicht ist verzehrt, die Tränen laufen.
-Sie klagt. Sie klagt sich die Trauer und Bedrängnis aus dem Leib. Sie fühlt sich überwältigt von ihrer Ohnmacht, kann nichts tun, ihr sind die Hände gebunden- so fühlt es sich an. Sie tut soviel sie kann. Sie versucht alles richtig zu machen, nicht Teil des Unrechtsystems zu sein und ist doch so gefangen und verheddert, sie ist Teil vom Problem- und doch kämpft sie-
„Gott, warum bist du nicht zu sehen, wenn ich dich brauche- Warum tust du nichts?“
Es muss etwas geschehen! Jetzt bald! Sonst gibt es kein zurück mehr- für niemanden von uns- obwohl- ein zurück gibt es schon nicht mehr.
Die Frage heute ist eher: Wie schlimm wird es noch? Sie hat viel zu lange damit gewartet ihre Stimme zu erheben. Sie hatte sich nicht getraut, hatte sich schuldig gefühlt. In ihrer Brust war die Angst gewachsen wie ein Knoten, es fiel schwer zu atmen.
Doch jetzt kam alles auf einmal aus ihr heraus: Die unglaubliche Wut, die Trauer, die Angst, die Ohnmacht, die Hoffnung. Sie schrie und brüllte, sie schlug um sich.
„Gott, du treuer Gott! Du Schöpfergott! Wie kannst du es ertragen, dass sich die Habgierigen am Werk deiner Hände vergehen?“
Gott musste doch ebenso trauern wie sie? War es Gott nicht gewesen, die allem Sein Leben eingehaucht hatte: Atem, Grünkratf, Lebendigkeit?
Das große Du, das Gegenüber, immer ansprechbar, mit allen und allem in Verbindung, musste doch ebenso zornig sein über all den Tod und das Verderben, das durch das Handeln der Habgierigen entstanden ist. „Gott des Lebens! Gott der Solidarität! Was ist da los?“
Neben ihr rief eine andere Stimme, die Psalmbeterin machte die verweinten Augen auf und sah neben sie: Sie war nicht mehr allein. Ihre laute Stimme hatte die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen. Auch sie waren auf die Knie gegangen und wiegten sich nun. „Gott, wo ist deine Gerechtigkeit? Wo ist dein heiliger Zorn?“ „Lass Feuer regnen über die, die ihre Macht missbrauchen!“ (Psalm 11, 6) Sie stimmten ein in die Hoffnung, dass Gott eingreifen werde.
Dass sich Gottes Gerechtigkeit letztlich durchsetzen würde. Ihre Stimmen und Körper waren für dieselbe Sache und die verband sie.
Die Woge bäumte sich auf-  ... und flachte ab. Sie flüsterte nun fast, aber mit fester Stimme:
„Gott, du hörst die Sehnsucht der Unterdrückten. Mach ihre Herzen stark! (Psalm 10,17) Und lass sie dir begegnen!“ (Psalm 11,7b)
Die Psalmbeterin lag auf dem Boden, ihre Stirn berührte den kühlen Stein. Neben sich spürte sie warme Körper. Ihr Atem ging wieder ruhiger, auch ihr Herz-
Insgesamt kehrte eine tiefe Ruhe ein, in den Hof und ihre Brust. Langsam hob sie den Blick uns setzte sich auf, sie nickte den anderen zu und sagte „Amen.“
„Amen“. „Ja, Amen.“ Sagten die anderen und ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie standen auf und setzten sich gemeinsam in Bewegung.
„Gott sei Dank darf ich klagen. Das macht es leichter.“ Sagte einer.

Klimastreik

Der Prophet Jesaja lief drei Jahre nackt und barfuß als Warnung und Zeichen.
Ich schaue mich an.
Drei Pullover habe ich übereinander gezogen, darüber zwei Westen und eine Winterjacke.
Um den Hals vier Schals und drei Stirnbänder habe ich um die Ohren gewickelt. Ich möchte nichts hören von der Krise.
Draußen stürmt es, seit Tagen schon. Ich setze mir einen Hut auf und ignoriere das Wetter.
Mit meinen dicken Schuhen stapfe ich nach draußen.
Ich bin etwas träge durch die vielen Schichten. Meine Hände in den Handschuhen sind nicht mehr so geschickt, fast schon unfähig irgendetwas in die Hand zu nehmen.
Hauptsache ich bin geschützt vor schlechten Nachrichten.
Der Prophet Jesaja lief drei Jahre nackt und barfuß als Warnung und Zeichen.
Ich bin gut eingepackt – ein Pullover schützt mich vor der Angst, der nächste vor der Wut, einer vor zu viel Schmerz und dem Empfinden für Ungerechtigkeit – und die obersten Schichten, ach, die sind nur noch Gleichgültigkeit.
Über meinem Kopf fliegen Zugvögel. Sie wissen nicht so recht, in welche Richtung sie eigentlich fliegen sollen. Wo wird es denn jetzt warm und wo kalt?
Wie schön wäre das, denke ich, wenn ich auch mal wieder etwas frische Luft spüren würde. Da ist noch so eine Ahnung in mir, wie Sonne warm auf meine Haut scheint.
Ich sehe die Menschen um mich herum an. Alle sind dick eingepackt. Niemand scheint sich darum zu kümmern, ob das eigentlich angemessen ist. Passen denn die Mäntel zu den Temperaturen draußen? Vielleicht wäre auch etwas anderes möglich.
Neulich hörte ich eine junge Frau aus Nicaragua sprechen. Sie sagte: Wenn sie die Frauen auf den Dörfern besucht, dann ist das größte Thema der Klimawandel. Schon jetzt ist das Wasser knapp. Was wird in den nächsten Jahren kommen?
Ich löse einen Schal und atme tief durch.
Von den Philippinen höre ich immer wieder: Stürme überfluten die Inseln. Schon jetzt. Was wird in den nächsten Jahren kommen?
Ich ziehe ein Stirnband vom Kopf und höre die Vogelstimmen in den Bäumen.
Das Klima hat sich verändert.
Ich schüttele einen Schuh vom Fuß und berühre das erste Mal seit vielen Jahren die Erde.
Warum hat mir niemand gesagt, dass die Angst vor der Veränderung nicht schwindet, wenn ich noch mehr Pullover darüber quetsche?
Ich ziehe den Reißverschluss meiner dicksten Jacke auf und frage mich: Geht es mir nicht wie den Vögeln? Ich weiß doch auch nicht, wohin ich gehen soll – wo es eigentlich warm ist und wo kalt. Ich habe das Gespür dafür verloren.
Mein Fuß hat sich inzwischen ein Stück in die Erde eingegraben. Sie fühlt sich trocken an.
Ich ziehe zwei Pullover aus und spüre die warme Luft, die mich umgibt.
Der Schutz, nach dem ich suche- ich kann ihn nicht mit Kleidern herstellen. Ich suche meine Wurzeln.
Noch eine Schicht weiter und die Gleichgültigkeit ist verschwunden.
Ich wage es. Ich protestiere gegen das, was normal geworden ist. Ein deutliches Zeichen.
800 Jahre vor Christus in einem kleinen Land zwischen politischen Großmächten- Zeichen des Protests: 3 Jahre nackt und barfuß laufen.
2022 in einem hochprivilegierten Land- Zeichen des Protests: Sich den Problemen stellen.
Hinsehen, zuhören und etwas in die Hand nehmen.
Ein Schutzmantel bleibt mir: Gottes Zusage der Verbundenheit mit seiner Schöpfung. Amen.